„Angesichts der rasanten Digitalisierung scheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass ein findiges Start-up den Superalgorithmus für ein vermeintlich faires Gehalt erfinden könnte."
Stefanie Hornung
Die Arbeit, die ich wirklich wirklich will. So definierte einst Frithjof Bergmann New Work. Heute denken wir in dem Zusammenhang vor allem über neue Führung, Selbstverantwortung der Mitarbeiter, Agilität und vielleicht noch über Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben nach. Schwierig wird es dann, wenn es ums Geld, sprich Gehalt, geht.
Pssssst – nichts verraten
Das Gehalt ist eines der am besten gehüteten Geheimnisse. Für viele Arbeitnehmer sieht die Realität so aus: Arbeitsrechtlich sind wir dazu verpflichtet, über bestimmte Betriebs- und Unternehmensinterna Stillschweigen zu bewahren – wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse daran hat, dass gewisse Sachverhalte auch geheim bleiben. In Arbeitsverträgen finden sich häufig Verschwiegenheitsklauseln, die Mitarbeiter explizit verpflichten, über ihre Vergütung Stillschweigen zu bewahren.
Inwiefern dies rechtlich zulässig ist, ist zwar umstritten. Doch im Zweifelsfall schweigen wir dann doch lieber, zumindest im Kreis der Kollegen. So wissen wir oftmals nicht, was andere verdienen. Es soll sogar in Beziehungen und Ehen nicht selten vorkommen, dass das Gehalt des Partners tabu ist.
Diese Zurückhaltung auf individueller Ebene, kommt vielen Organisationen entgegen. Wenn keiner über Gehalt redet, streitet auch keiner darüber. Alles gut also? „Ich bin davon überzeugt, dass alle, die den Anspruch von Chancengleichheit als gesellschaftliches Ziel ernst nehmen, verpflichtet sind über Geld und Gehalt zu reden“, schreibt Nadine in ihrem Blogbeitrag über das Thema. Spätestens wenn sich die Machtverhältnisse in Unternehmen mit New Work neu justieren, steht auch das Gehalt auf dem Prüfstand.
Was von der Politik zu erwarten ist
Von Lohngerechtigkeit sind wir noch weit entfernt, denken wir nur an die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen. (Un)Equal Pay und (fehlende) Gehaltstransparenz – da scheint es einen Zusammenhang zu geben. Auch beim Gesetzgeber ist das angekommen: Kürzlich wurde der Entwurf für das Entgelttransparenzgesetz verabschiedet. Hört sich super an, aber was bringt das Gesetz, so es denn kommt, eigentlich? Solange zum Beispiel nicht genügend Kollegen in der gleichen Position beschäftigt sind, erhalten wir keinerlei Auskunft über deren Gehalt.
Der Blick über die Ländergrenzen schmälert die Hoffnung, dass mit Transparenz auf dieser Ebene gerechtere Gehaltsverhältnisse entstehen. In Österreich wurde schon 2011 ein ähnliches Gesetz eingeführt. Unternehmen müssen dort nun sogar in Stellenausschreibungen ein Mindestentgelt veröffentlichen. Dies hat jedoch keine große Veränderung für den Gehaltlücke zwischen Frauen und Männer bewirkt. In Schweden sieht es ähnlich aus: Dort kann man das Gehalt jedes Bürgers beim Amt erfahren. Der Equal-Pay-Gap ist allerdings trotzdem fast genauso groß wie in Deutschland. Vermutlich kommen wir also auf der politischen Ebene allein nicht weiter.
Geld oder Leben! Oder wofür wollen wir nochmal arbeiten?
Die größten Hürden sind oft im Kopf. Fehlende Gehaltstransparenz, keine Obergrenze für Manager- und Fußballergehälter, ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen – wie soll sich da etwas verändern? Wenn wir jedoch genauer auf die Arbeitswelt schauen, hat sich vielleicht längst etwas verschoben: Für viele Menschen ist schon beim Berufseinstieg oder zumindest ab einem bestimmten Karriere-Level nicht mehr ein exorbitantes Gehalt das erste Bedürfnis, sondern eine sinnvolle Tätigkeit, die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und etwas Positives zu bewirken oder einfach mehr Zeit für andere wichtige Dinge im Leben zu haben.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Entscheidung der 130.000 Deutsche-Bahn-Mitarbeiter: Sie waren kürzlich dazu aufgerufen, sich zwischen verschiedenen Entlohnungsmodellen zu entscheiden: 2,62 Prozent mehr Lohn, eine um eine Stunde abgesenkte Wochenarbeitszeit oder sechs Tage zusätzlicher Erholungsurlaub. 56 Prozent haben den Zusatzurlaub gewählt.
Von den Auswirkungen für die DB nun mal abgesehen, wie würdest Du Dich entscheiden? Eine Entlohnung, die Du wirklich wirklich willst – wie würde die denn aussehen? Vielleicht träumst Du auch von einem bedingungslosen Grundeinkommen. Doch was würdest Du damit eigentlich anders machen als bisher?
Der Superalgorithmus für faires Gehalt
Diese Frage ist schon so schwer genug zu beantworten. Wenn wir uns mit den Veränderungen der Arbeitswelt beschäftigen, wird sie nicht unbedingt leichter. Roboter nehmen uns die Arbeit weg, heißt es hier – Maschinen erleichtern uns die Arbeit und wir können uns den wirklich wichtigen Dingen widmen, heißt es dort. Das Rennen ist noch nicht gemacht.
Angesichts der rasanten Digitalisierung scheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass ein findiges Start-up den Superalgorithmus für ein vermeintlich faires Gehalt erfinden könnte. Theoretisch ist es ganz einfach: Man programmiert lediglich die richtigen Variablen wie Ausbildung, Erfahrung, bisherige Leistung und Potential aufgrund von Alter & Co. zusammen und bekommt ein absolut objektives Gehalt aus der Maschine. Wer sich angesichts solcher Szenarien mal so richtig gruseln möchte, schaue nur nach China: Dort soll 2020 ein umfassendes „Social Credit“-System entstehen, das Bürger in allen Dimensionen bewertet und bei „Fehlverhalten“ sanktioniert.
Der Haken dabei ist klar: Die Regeln für Algorithmen werden noch immer von Menschen gemacht. Wenn wir uns nicht offen fragen, wie wir Leistung in der Arbeitswelt bemessen möchten, werden es womöglich andere für uns tun…
Neue Gehaltsmodelle für Arbeitgeber
Schauen wir also noch einmal auf die organisationale Ebene und die Art und Weise, wie Gehalt dort gehandelt wird: Neue Entlohnungsmodelle reichen vom Einheitsgehalt bis hin zu offenen Gehaltspokerrunden, in denen man über die eigene Leistung und die erwartete Entlohnung spricht. Persönliche Gehaltsverhandlungen haben immer mit dem eigenen Marktwert und der Fähigkeit zum Selbstmarketing zu tun: Wer sich gut verkauft, holt mehr heraus, wer sich zu sehr hinterfragt, schaut in die Röhre.
Vor- und Nachteile bringen alle Gehaltsmodelle mit sich. Wer alle gleich bezahlt, fördert unter Umständen Sozialschmarotzertum – und will dieses trotz aller Gleichheitsparolen nicht akzeptieren, wenn es denn auftritt. Wer Ausbildung, Erfahrung, Engagement, soziale Kriterien mit berücksichtigt, muss genau hinschauen – und übersieht vielleicht doch den entscheidenden Beitrag, den jemand für eine Organisation leistet.
Allerdings: Wie behandeln wir alle ungleich gerecht? Wo hört die eigene egoistische Natur auf und fängt die Lohngleichheit an? New Work heißt immer und auch beim Gehalt: Es kommt auf die ständige Bereitschaft an, die Organisation und ebenso sich selbst zu hinterfragen: Welche Kriterien sind uns wichtig? Welche Gehaltsspanne gibt es im Unternehmen? Wer verdient am meisten und wer am wenigsten?
Meine kleine Gehaltswelt
Du siehst, es gibt viel zu erzählen und zu diskutieren. Persönliche Gehaltsgeschichten, neue Ansätze und die möglichen Auswirkungen für die Arbeitswelt der Zukunft. Das ist genug Stoff für ein
ganzes Buch und Du darfst wie Sven, Nadine und ich gespannt sein, was daraus wird…
In unserem Buchzirkel haben wir einen kleinen Fragebogen entwickelt und ich fange doch gleich mal an, diesen mit meinen Antworten vorzustellen:
- Was treibt Dich an? Eigenverantwortung, etwas bewegen wollen, Kreativität
- Was ist ein faires Gehalt? Genug zum Leben, nicht weniger als andere für ähnliche Arbeiten (marktübliche Bezahlung), sozial gerecht (ein gewisses Niveau nicht übersteigend)
- Was verdienst Du? Darüber rede ich nur mit Freunden und Familie (danke Schweigeklausel im Arbeitsvertrag ;-))
- Wie zufrieden bist Du damit (1-10)?
- Inwiefern soll Gehalt transparent sein? So transparent wie möglich, aber nur in Kombination mit einer Debatte, wie wir Lohn definieren, mit Ungerechtigkeiten umgehen und soziale Kontrolle gestalten
- Was brauchst Du an Einkommen? Wofür? Essen, Kleidung, Geld für Bahn und Mietwagen, Wohnung und Versicherungen – alles andere ist Luxus
- Was würde finanzieller Rückschritt bedeuten? Auf gutes Essen und Reisen verzichten zu müssen
- Wie soll sich Dein Gehalt in Zukunft entwickeln? Es soll reichen, um zu leben – auch im Alter
- Reihenfolge: Aufgaben, Sinn, Urlaub, Zeit für Privates, Partizipation, Karriere, Gehalt…
- Was wolltest Du als Kind werden? Was ist Dein größter Wunsch? Ärztin – und Zufriedenheit für alle
Möchtest Du Teil unseres Buchprojekts werden? Wir freuen uns, auf Deine Anregungen oder Deine persönliche Gehaltsgeschichte.
Mache mit bei unserer Blogparade #NewPay
Stefanie Hornung ist Head of Communications & Media Cooperations bei der boerding messe AG und langjährige Beobachterin und Berichterstatterin der New Work Szene
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Johanna Walther (Dienstag, 24 Oktober 2017 15:49)
Interessant. Schade, dass eine zentrale Antwort (Fragebogen) fehlt ... Aber das ist wohl eine Antwort in sich selbst. Viel Glück bei der nächsten Pokerrunde! ;-)
FraKo87 (Montag, 30 Oktober 2017 12:25)
*lach* bis zur sogenannten "pay gap" bin ich gekommen - und ausgestiegen. wie so viele ihrer journalistisch arbeitenden (?) genossinnen und genossen, übernimmt sie ungeprüft eine wissenschaftlich hanebüchene annahme: https://www.heise.de/tp/features/Ten-Years-Gender-Pay-Gap-Mistake-Ein-Irrtum-wird-zehn-Jahre-alt-3652060.html